„Das ist kein Thema, auf dem man sein parteipolitisches Süppchen kocht.“, hatte der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Detlef Wend, vergangenen Donnerstag zu Beginn der gemeinsamen Sondersitzung von Jugendhilfe- und Bildungsausschuss appelliert. Und tatsächlich fielen die meisten Ausschussmitglieder eher mit Nachfragen zu den fundierten Expertenvorträgen und den Berichten von Schulleitungen und Sozialarbeitenden mit teilweise bedrückender Alltagserfahrung als durch politische Statements auf.
„Wer nach letztem Donnerstag noch immer der Meinung ist, man müsse nur feste durchgreifen, der hat scheinbar nicht zugehört.“, resümiert Wend und erklärt: „Wir hatten zahlreiche kluge Köpfe eingeladen, damit wir bei diesem wichtigen Thema nicht weiterhin die üblichen Klischees bedienen. Und von Sozialarbeitenden über Staatsanwaltschaft bis hin zur Fachstelle für Gewaltprävention war man sich einig: Ressourcenmangel in der Prävention, also in der Sozialarbeit, der Sprachförderung (in Kitas und Schulen), der Jugendarbeit, und die eklatante Bildungsungerechtigkeit sind entscheidend.“
So hatte beispielsweise Kai Ritter von der halleschen Jugendgerichtshilfe prägnant formuliert: „Druffhauen ist nicht hilfreich.“ Denn die Studienlage sei eindeutig: Jugendkriminalität werde durch gezielte pädagogische Maßnahmen besser verhütet, als durch Sanktionen. Ähnlich klang das bei Hans Goldenbaum von der Fach- und Beratungsstelle Gewalt- und Radikalisierungsprävention SALAM Sachsen-Anhalt. Der hatte, wie auch Dr. Moustafa vom islamischen Kulturcenter am Publikumsmikrofon, entsetzt darauf hingewiesen, dass das Land Sachsen-Anhalt 2018 die Förderung für den „Deutsch als Zweitsprache“-Unterricht massiv gekürzt hat. In der Folge sei es auch zu Schulabsentismus gekommen, der wiederum ein großer Risikofaktor für Jugendkriminalität sei. Denn nicht der Migrationshintergrund, so Goldenbaum, sei entscheidend dafür, ob ein Jugendlicher kriminell werde, sondern diverse soziale und ökonomische Risikofaktoren. Ausgrenzungserfahrungen, mangelnde Erfolgserlebnisse und fehlende Anerkennung führten schnell auf die schiefe Bahn. Insbesondere die Sprachkompetenz entscheide über mehr oder weniger gelungene Integration.
Auf diesen Zusammenhang wies auch die Leiterin der Gemeinschaftsschule Kastanienallee, Beatrice Worm hin, an deren Schule von 532 Kindern nur 109 Muttersprachler seien. Diese Zusammensetzung lasse erahnen, vor welchen Herausforderungen die Lehrkräfte stünden. Schulen in anderen Stadtteilen wiesen hingegen keine solche Unwucht auf. „Das ist eine Dysbalance und Bildungsungerechtigkeit, die wir alle in Halle schon seit geraumer Zeit zulassen.“, so Wend. Auch die Herausforderung der jungen Straftäter unter 14 Jahren, die noch nicht strafmündig sind, wurde angesprochen. Umso wichtiger sei es, deren Familien Unterstützung in der Erziehung zukommen zu lassen.
Wend, der sich seit Jahren für mehr Sozialarbeit, bessere Jugendarbeit und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche sowie die Prävention von Sprachdefiziten schon im Kindergarten einsetzt, kann diesen Analysen nur zustimmen. Erfreut war er auch über zwei Wortmeldungen Jugendlicher, die niedrigschwellige räumliche Rückzugsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in den Stadtteilen oder auch unkomplizierte Nutzung von vorhandenen Sportanlagen forderten.
Gefragt, wie es jetzt weitergehe, macht Wend deutlich, dass die Sondersitzung nur ein Anfang gewesen sein könne: „Wir lösen dieses Problem nicht an einem Abend. Klar ist, dass wir alle in der Verantwortung sind. Es kann nicht sein, dass Erwachsene wegschauen, wenn es zu Gewaltdelikten kommt, wie von einigen Betroffenen beschrieben. Es braucht eine gemeinsame, langfristige Anstrengung für mehr zielgerichtete Prävention, Erziehungsarbeit und bessere Lebensbedingungen für junge Menschen in Halle.“ Damit meine er explizit auch Bund und Land, die sich ihrer Verantwortung bisher teilweise entzögen. Wend abschließend: „Beim Hochwasser haben alle mit angepackt und die Sandsäcke geschleppt. Ein solches Vorgehen wünsche ich mir jetzt auch bei diesem Thema.“