STATUS
zurückgezogen
Die Haushaltslage Halles ist prekär. Seit Jahren wird um die Konsolidierung des Bestandes von zuletzt über 400 Millionen Euro an Liquiditätskrediten gerungen. In der Folge stehen immer wieder Einschnitte bei wichtigen freiwilligen Leistungen im Bereich Soziales, Kultur und Sport zur Debatte. Gleichzeitig „profitiert“ die Stadt von einer Vielzahl unbesetzter Personalstellen, die eine große alljährliche Minderausgabe im Haushalt ermöglichen, ohne die die Haushaltslage noch deutlich angespannter wäre. Zugleich hat Halle zuletzt große Anstrengungen unternommen, um einerseits den Haushalt zu konsolidieren und parallel die massiven sozialen Herausforderungen in der Stadt anzugehen. Dennoch hangelt sich die Stadt weiter von Haushaltssperre zu Haushaltssperre. Es sind vor allem die dringend notwendigen sozialen Pflichtleistungen, die den städtischen Haushalt immer stärker belasten. Es ist zu befürchten, dass ein strikter Konsolidierungskurs, hier sogar zu steigenden Ausgaben beitragen könnte.
Das Problem ist bekannt
Mit dieser Lage ist Halle nicht allein. Zahlreiche Kommunen in ganz Deutschland, politische Akteure auf allen Ebenen sowie Publizistik[1], Wissenschaft[2] und Denkfabriken (Think Tanks) weisen seit Jahren immer wieder auf die strukturelle Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte hin. Jüngste Prognosen sehen sogar eine signifikante Verschlechterung der Lage voraus[3]. Dem gegenüber steht nicht nur ein kommunaler Investitionsstau von bundesweit mindestens 150 Mrd. Euro[4], sondern auch ein stetiger Zuwachs an Aufgaben. Diese Aufgaben erwachsen einerseits aus unaufschiebbaren gesellschaftlichen Herausforderungen wie der Klimakrise und dem demografischen Wandel, aber zu großen Teilen auch aus Aufgabenübertragungen von Bundes- und Landes- auf die kommunale Ebene. Hierfür gewährte Ausgleichszahlungen decken in vielen Fällen die entstehenden Kosten nicht.
Diese Missachtung des Konnexitätsprinzips hat in der Vergangenheit wesentlich zur Anhäufung von immer höheren Schulden beigetragen. Darüber hinaus trug eine massive Ungleichverteilung sozialer Lasten durch transformationsbedingte Arbeitslosigkeit, Niedriglohnbeschäftigung und – insbesondere in Sachsen-Anhalt – Abwanderung zum Aufwuchs bei. Diese Kredite schränken nun heute den Handlungsspielraum der Kommunen wesentlich ein. Das trägt dazu bei, dass selbst die schrittweise Erhöhung der Beteiligung des Bundes an den kommunalen Sozialausgaben das Grundproblem nicht beheben konnte. Noch immer belasten nur sehr bedingt durch kommunales Handeln zu beeinflussende soziale Bedingungen die kommunalen Haushalte betroffener Kommunen über Gebühr.
Das Aktionsbündnis “Für die Würde unserer Städte”
Vor dem Hintergrund schon damals bestehender, gleich gelagerter Probleme gründete sich im Jahr 2009 das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“, welchem ursprünglich nur Kommunen aus Nordrhein-Westfalen, wo vor allem die Altschuldenproblematik besonders akut war und ist, angehörten. Mittlerweile besteht das Bündnis aus 64 Kommunen aus sieben Bundesländern mit 8,5 Millionen Einwohnenden, darunter auch einige ostdeutsche Städte.
Kernziel des Bündnisses ist es, eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen zu erreichen und eine Lösung für die erdrückenden Schulden der Kommunen zu erreichen, um den Teufelskreis aus beziehungsweise die Wechselwirkung von Belastung durch Altschulden und Unterfinanzierung aktueller und zukünftiger Aufgaben zu durchbrechen. Hierzu zählt auch die Aufforderung an Bund und Länder das Konnexitätsprinzip konsequent einzuhalten. Daneben tritt das Bündnis jedoch auch für eine Reform der Förderpolitik, die das ausufernde Antragswesen und die teilweise prohibitiven Eigenanteile mittels Vereinfachung, stärkerer Pauschalisierung und einer Berücksichtigung von Folgekosten in den Blick nimmt, ein. Schließlich setzt sich das Bündnis für die Bekämpfung kommunaler Steueroasen, also Kommunen, die mittels extrem niedriger Gewerbesteuersätze einen Wettlauf nach unten befeuern, ein.
Das Bündnis kann insbesondere in den letzten Jahren auf zahlreiche Erfolge verweisen: Die kommunale Schuldenlast, der Investitionsstau in den Städten und Gemeinden und die strukturelle Unterfinanzierung haben auch durch die beharrliche Interessenpolitik des Bündnisses und seine kreativen Aktionen Eingang in die bundespolitische Debatte gefunden. Zahlreiche Länder haben partielle Lösungen für „ihre“ Kommunen auf den Weg gebracht, eine Entschuldung der Kommunen fand Eingang in den Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung und der Bund hat zusätzliche Finanzierungsverantwortung übernommen. Dies zeigt, dass gezielte kommunale Interessenpolitik Veränderungen bewirken kann. Gleichzeitig sind eine akzeptable kommunale Finanzlage und eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse noch nicht erreicht.
Gemeinsam Druck machen für eine nachhaltige Lösung
Halle konnte dank großer Anstrengungen Erfolge bei der Verbesserung seiner Finanzlage erreichen. Diese werden jedoch durch wiederkehrende Krisenereignisse wie jüngst die Corona-Krise oder den Energiepreisschock immer wieder zunichtegemacht. Mit einem Beitritt zum Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ verleiht Halle der Interessenpolitik für eine solidarische wie nachhaltig-strukturelle Lösung kommunaler Finanzierungsprobleme als erste sachsen-anhaltische Mitgliedskommune zusätzlichen Nachdruck. Wie dringend solche Interessenpolitik ist, zeigt der Plan des Bundesfinanzministeriums durch das sogenannte „Wachstumschancengesetz“ für kommunale Steuermindereinnahmen in Höhe bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr zu sorgen[5]. Gleichzeitig stellt der Mitgliedsbeitrag von 1.000 Euro pro Jahr keine wesentliche Zusatzbelastung des städtischen Haushalts dar.
Hier geht’s zu den wichtigsten Fragen und Antworten zum Aktionsbündnis auf dessen Website.
UPDATE
Wir haben unseren Antrag im Hauptaussschuss am 18. Oktober zurückgezogen. Zwar gab es viel Unterstützung für das mit unserem Anliegen verbundene Ziel, doch teilten die anderen Fraktionen unseren Ansatz zur Erreichung dieses Zieles nicht. Auch die Verwaltung teilte unser Ziel, wies aber auf die äußerst restriktive Genehmigungspraxis des Landesverwaltungsamtes bei “neuen freiwilligen Leistungen” hin. Vor diesem Hintergrund war absehbar, dass unser Antrag keine Chance auf Umsetzung hat.
[1] z.B. Geers & Küppers (07.02.2020): Wer die Schulden der Städte bezahlen soll, verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/klamme-kommunen-wer-die-schulden-der-staedte-bezahlen-soll-100.html
[2] z.B. Schmidt (4. Januar 2023): Für alle eine faire Wettbewerbssituation, in Treffpunkt Kommune, verfügbar unter: https://www.treffpunkt-kommune.de/fuer-alle-eine-faire-wettbewerbssituation/
[3] Deutscher Städtetag (18.07.2023): Kommunale Haushalte geraten in Schieflage, verfügbar unter: https://www.staedtetag.de/presse/pressemeldungen/2023/prognose-kommunalfinanzen-kommunale-haushalte-in-schieflage
[4] Deutscher Städte- und Gemeindebund (6. Mai 2021): 149 Mrd. € Investitionsstau, verfügbar unter: https://www.dstgb.de/themen/finanzen/investitionen/149-mrd-investitionsstau/?q=investitionsstau
[5] Bundesregierung (11.08.2023): Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness, verfügbar unter: https://cdn.businessinsider.de/wp-content/uploads/2023/08/230811_RegEntw_WtChancenG_.pdf